Gemeinde gestaltet das Singen
Vier gemeindepädagogische Erinnerungen und Wiederholungen zum Durcharbeiten
Von Prof. em. Dr. Günter Ruddat, aus dem Werkbuch Singen der EKiR (2011)
Wenn Oma und Opa und die Eltern singen…
Mit Flöte, Gitarre und Klavier groß geworden haben meine Frau und ich nicht nur am Esstisch und am Lagerfeuer gesungen, im Kinder- oder Schulchor, sondern eben auch zu Weihnachten und zwischendurch in unseren Familien. Inzwischen sind wir selbst Großeltern geworden, und unsere Enkelkinder lieben es, wenn wir das große Kinderliederbuch mehr oder minder an- und durchsingen, wenn die Lieder von der Familienfreizeit oder aus dem Krabbel- oder Kindergottesdienst anklingen, und sie sind mächtig stolz, wenn sie das eine oder andere Lied wie „Du bist da, wo Menschen leben“ by heart (in- und auswendig) mitsingen können, auch wenn sie noch ganz klein sind. Unsere Kinder, die jetzt selbst Eltern sind, erleben es immer noch als ein wesentliches Weihnachtsritual, wenn wir als Großfamilie zusammensitzen und aus unserem familieninternen Weihnachtsliederbuch (natürlich mit Noten und Akkorden!) singen, das im Laufe der Jahre immer wieder um ein neues oder neu aufgespürtes altes Lied erweitert wurde. Jede und jeder darf sich zwischen den Stationen der Bescherung und des weihnachtlichen Erzählens und Vorlesens ein Lied wünschen. Und das prägt.
In dieser Linie vier gemeindepädagogische Erinnerungen, das Singen wieder zu entdecken und zu entwickeln, Lieder zu wiederholen und im Gemeindealltag durchzuarbeiten:
Mit Kindern singen – von der Kindertagesstätte bis zum Kindergottesdienst
Nicht nur am Anfang und am Ende eines Tages in der Familie ein Lied anstimmen, damit der Tag aufgeweckt und fröhlich beginnen oder die Nachtruhe mit einem Schlaflied sich freundlich einstellen kann, sondern auch an den Orten und zu den Zeiten, wo Kinder zusammenkommen, sich begrüßen oder sich voneinander verabschieden (natürlich auch in der Schule oder im Religionsunterricht). Solche Rituale schaffen in ihrer Wiederholbarkeit Verlässlichkeit und Vertrauen, geben Sicherheit: Jetzt geht es los! Oder: Jetzt ist Schluss! - ob in der Eltern-Kindergruppe oder im Krabbelgottesdienst, ob in der Kindertagesstätte oder bei der Familienfreizeit, ob im Kinder- oder im Familiengottesdienst. Dabei ist es eine Hilfe zum Singen, möglichst keine „Eintagsfliegen“ anzustimmen, sondern Lieder in einfacher Sprache zu wiederholen, mit einem einprägsamen Refrain und Rhythmus, mit nur wenigen wechselnden Worten oder mit verstärkenden Gesten und Gebärden – und das so lange, bis das Lied wie ein Hit mitgesungen werden kann, eine Woche lang in der Gruppe oder einen Monat lang Sonntag für Sonntag im Gottesdienst (etwa zu einer Reihe aus dem Kindergottesdienst-Plan) – so entsteht ein Fundus an Liedern, an dem dann auch (später) Jugendliche und Erwachsene teilhaben können. Trotz aller Papierflut ist es in diesem Kontext durchaus keine schlechte Angewohnheit, Liedblätter mit Noten und Akkorden denen an die Hand zu geben, die zuhause weiter singen (wollen).
Mit Jugendlichen singen – von der Konfirmandenzeit bis zur Jugendfreizeit
Trotz aller tatsächlicher oder vermeintlicher Sing-Faulheit oder Trägheit: Konzerte mit angesagten Bands oder die zunehmende Zahl an Gospelchören o.ä. zeigen u.a. immer wieder, in welchem Maß Jugendliche bereit und fähig sind, einzustimmen und auswendig mitzusingen - gut, wenn solche Folk- und Pop-Songs, Gospels und Spirituals nicht nur in der Freizeitarbeit einbezogen werden, sondern auch in den unterschiedlichen Arbeitsfeldern mit Jugendlichen eine Rolle spielen. Etwa in der Konfirmandenzeit können über das Anfangs- und Schlussritual der Einheiten hinaus mit den Jugendlichen zu entdeckende „Kernlieder“ zu den Elementen des Gottesdienstes vom Eingangs- bis zum Segenslied oder zu den zentralen Themen die Konfirmandenzeit wiederholend prägen – und zwar nicht nur die Unterrichtszeit, sondern gerade auch die Zeiten des Gottesdienstes und der Freizeit.
Mit Erwachsenen singen – von der Gottesdienstreihe bis zur Studienreise
Was die Kinder und Jugendlichen (mit)singen (können), das kann dann auch in der immer wieder neu zu entwickelnden Mischung von alten und neuen Liedern das Liedgut der Erwachsenen-Gemeinde erweitern - und umgekehrt. Dabei haben sich in der Praxis besonders bewährt, alte Lieder wieder zu entdecken oder neu kennen zu lernen, wenn zu den Kirchenjahreszeiten, zu den Elementen des Gottesdienstes oder zu biblischen oder thematischen Gottesdienstreihen ausgewählte Lieder von Gottesdienst zu Gottesdienst wiederholt eingesetzt werden und den Fundus des der Gemeinde vertrauten Liedguts erweitern. Diese Liedpraxis lässt sich ohne weiteres auch auf die wöchentliche Andachtspraxis oder auf die Freizeitarbeit bis hin zur Studienreise mit Tagzeitengebeten und deren Liedern übertragen. Speziell eignen sich die oft vernachlässigten 2. Feiertage (Weihnachten, Ostern, Pfingsten) als besondere musikalisch gestaltete Sing-Gottesdienste, in denen die Liturgie von ausgewählten Liedversen übernommen wird, rund um eine Liedpredigt, die etwa Strophe für Strophe singt und auslegt[1], oder erweitert durch ein gottesdienstliches Wunschkonzert.
Mit der ganzen Gemeinde singen – vom Adventssingen bis zur Sommerkirche
In dieser Linie lässt sich auch das für die Kirchentage mittäglich traditionelle „Offene Singen“ für den Kirchenalltag gewinnen, vom punktuellen Advents- oder Ostersingen über die sich ausbreitende Tradition z.B. der „Adventsfenster“ (die Gemeinde zieht Abend für Abend als dynamische Kurrende in der Adventszeit zu einem anderen „Fenster“ von Menschen in der Gemeinde, entsprechend die sich wandelnde Praxis der Passionsandachten als abzuschreitende „Kreuzwege“ oder den Weg-Stationen der „Ostergärten“) bis zum Offenen Singen auf dem Gemeinde- oder Erntedankfest oder im Kontext der sich ebenfalls ausbreitenden „Sommerkirche“ (biblische/thematische Reihe während der Sommerferien, in die die wiederholende Vorstellung alter/neuer Lieder einbezogen wird). Schön, wenn auch kirchenmusikalische Konzerte einmal auch durch Lieder/Stücke zum Mitsingen erweitert werden (in vielen Urlaubsorten haben sich Kirchenmusiker*innen auf solche monatliche Praxis eingestellt).
Was zum Singen grundlegend hilft…
Wenn die singende Gemeinde nicht nur das EG in die Hand nehmen und dessen Möglichkeiten und Variationen entdecken soll, sondern wenn sie auch unbekannte Lieder hinreichend ansingen und einüben kann, dann stehen sinnvollerweise Liedblätter o.ä. selbstverständlich mit Akkorden und Noten zur Verfügung (auch zum Mitnehmen!) und die gemeindespezifischen „Beihefte“ werden entsprechend liebevoll entwickelt. Jenseits der sich seit der Einführung des EG ausbreitenden Praxis, die Liederhefte der Kirchentag als eine Art „Beiheft“ zu nutzen, hat dann die ganze Familie auch in Zukunft die Chance, ein Lied anzustimmen – zum Lob des Lebens.
[1] Vgl. dazu etwa besonders die Liederkunde zum EG (Handbuch zum EG, Göttingen 2000ff) oder das anregende Buch von Hartmut Handt und Armin Jetter (Hg): Voller Freude. Liedandachten zu den Sonntagen und Festen des Kirchenjahres. München 2004 (ökumenisch erarbeitet am Gesangbuch der Ev.-methodist. Kirche mit Querverweisen auf EG, RG, GL und FL).
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Zum Autor
Prof. em. Dr. Günter Ruddat, Jg. 1947, Dr. theol., Professor für Praktische Theologie an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal/Bethel (2001 - 2012), engagiert in der Kirchentagsbewegung, u. a. Vorsitzender des Ständigen Ausschusses Abendmahl, Gottesdienst, Fest und Feier beim Dt. Ev. Kirchentag (1997 - 2011) und im Redaktionskreis der Kirchentagsliederhefte (Leipzig 1997 – Berlin 2003), lebt in Bochum, verheiratet mit der Buchhändlerin Kriemhild Ruddat, vier Söhne und elf Enkelkinder.
Aktuell ist Günter Ruddat emeritierter Professor für Praktische Theologie an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal/Bethel