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    Die musikalische Hausapotheke gibt es nicht

    Musik ist für viele Menschen ein Schlüssel zur inneren Ruhe und tiefer Entspannung

    Von Stefanie Bock, Redakteurin Evangelische Sonntags-Zeitung

    © GettyImages / SolStockWir wissen nicht, welches Lied die Frau hört. Aber am besten entspannen kann sie mit ihrem Lieblingslied. Und entspannt sieht sie wirklich aus.

    Musik macht glücklich und ruhig. Und das sogar Menschen, die glauben unmusikalisch zu sein. Man muss sich nur auf die Musik einlassen.

    Da ist es wieder. Dieses Gefühl, das sich so schwer in Worte fassen lässt. Das wie eine Welle am Strand sich im Körper ausbreitet, den Atem beschleunigt und das Herz schneller schlagen lässt. Manchmal kommt es tagsüber, viel öfter kommt es nachts. Die Gedanken fahren Karussell. Was hilft nun, um wieder zur Ruhe zu kommen? Für die einen ist es der Griff zur Beruhigungstablette, für die anderen zur Musik. Ertönen erstmal die vertrauten Klänge, fühlt sich die Welt gleich besser an.

    Das ist keine Einbildung. Wissenschaftlich im Gehirn nachgewiesen hat diesen Effekt die kanadische Hirnforscherin Valorie Salimpoor. Sie stellte bei ihren Probanden fest, dass beim Musizieren und Hören von Musik Herzschlag, Atem und Temperatur auf die Klänge reagieren. Wie beim Essen, einer Spielsucht oder Drogenkonsum sorgt das Glückshormon Dopamin dafür, dass der Mensch sich gut fühlt.

    Mensch kann nicht über die Vorgaben der Natur hinweg gehen

    Musik ist in unserem Alltag nahezu allgegenwärtig.  Auf dem Weg zur Arbeit läuft das Radio, im Supermarkt spielt leise Musik vom Band, beim Sport bewegen wir uns im Rhythmus der Musik und abends in der Kneipe diskutieren wir bei Jazz über Politik. »Musik, von der wir berieselt werden, kann etwas ganz Wunderbares sein, aber eigentlich lohnt es sich, genauer hinzuhören und die Musik wirken zu lassen«, sagt der Musiker und Arzt Eckhard Altenmüller. Der Hannoveraner gilt als einer der führenden Wissenschaftler auf dem Gebiet der Neurophysiologie und Neuropsychologie von Musikern.

    Wie kann es sein, dass Musik auf uns kopfgesteuerte Wesen so viel Einfluss hat? »Wir glauben, dass wir heute kopfgesteuert sind, aber eigentlich ist unser Emotionshaushalt genauso wie vor 50 000 Jahren«, sagt Altenmüller. »Etwa 80 Prozent unseres Denkens geschieht nicht sprachlich, das ist ein Denken in Klängen, ein Denken in Formen, ein Denken in Farben, ein Denken in Gestalten.« Musik ist eben einer der stärksten emotionalen Reize. Und dagegen kann sich niemand wehren. »Das ist in unserem Organismus biologisch vorgegeben, da können wir gar nicht über unsere Natur hinaus gehen«, sagt der Neurologe. So wirkt schnelle Musik bei einem Tempo von mehr als 72 Hertz aufputschend, führt zu einem erhöhten Herzschlag und Puls.

    Und auf leise Musik vor allem in tieferen Tonlagen reagieren wir eben – und das kulturübergreifend – mit einem, ruhigen, gleichmäßigen Puls, einem gesenkten Blutdruck. Wir fühlen uns sicher, wenn wir ruhige wiederkehrende Klänge bei einem Tempo von 60 Hertz hören. »Wir können uns tatsächlich mit ruhiger Musik so beruhigen, dass wir sogar in den Schlaf fallen und wir uns ganz wohl fühlen. Das ist bei typischer Entspannungsmusik der Fall«, sagt Altenmüller. Die Anpassung der Körperrhythmen an die Rhythmen der Musik hängen nicht von der Musikalität des Zuhörers ab.

    Den intensivsten Effekt garantiert das Hören von Lieblingsmusik. Der Griff zur extra komponierten Entspannungsmusik ist oft gar nicht nötig. Grund dafür ist unser Gedächtnis. »Bewegende Musikerlebnisse wie zum Beispiel eine wunderschöne Messe an einem Ostersonntag werden stark im emotionalen Gedächtnis biografisch abgespeichert. Dort können sie dann das Netzwerk der Assoziationen, die mit Ruhe und Frieden einhergehen repräsentieren«, sagt Altenmüller. Ganz ähnlich geschieht dies mit Gerüchen, die wir in unserem Gedächtnis mit verschiedenen Erlebnissen und damit auch mit unterschiedlichen Empfindungen verknüpfen. Dies alles geschieht unbewusst. Plötzlich riechen wir irgendetwas oder hören eine bestimmte Melodie und schon erscheinen vor unserem inneren Auge Bilder.

    »Deswegen haben fast alle Menschen, biografisch gewachsen und eben nicht per Rezept verordnet Musik, die sie ruhiger werden lässt«, sagt der Forscher. Es könne sein, dass ein Hörer John Lennons »Let it be« als enorm beruhigend empfindet, während das gleich Lied eine andere Hörerin aufregt und aggressiv macht. Unsere Lebensgeschichte entscheidet darüber. »Aber eine musikalische Hausapotheke so nach dem Motto Mozart ist gut gegen Kopfschmerzen und Beethoven spiele ich, wenn ich Depressionen habe, die gibt es leider nicht«, sagt Altenmüller.

    Naturklänge wecken Erinnerungen an den Traum vom schönen Leben

    Mit der Verknüpfung ins Gedächtnis spielt auch die Entspannungsmusik, die auf Naturklänge wie den Klang der Wellen, das Zwitschern der Vögel oder sanft fallenden Regen zurückgreift. »Der romantische Traum, das Leben in Harmonie mit der Natur zu erleben, wird da assoziativ hervorgerufen«, sagt Altenmüller. Dies zeigt übrigens auch, wie wandelbar als entspannend empfundene Musik sein kann: Unsere Vorfahren haben die Natur sicherlich weniger als angenehm, denn als tödliche Bedrohung wahrgenommen. Doch in unserer heutigen Kultur ist dieses Gefühl nicht mehr präsent.

    Auf die Wirkung von Musik setzt auch die Medizin. In der Musiktherapie hilft sie, unter anderem Menschen mit Migräne, Depression oder Burnout . Urte Reich bietet in ihrer Berliner Praxis Musiktherapie an. Die meisten ihrer Klienten wollen sich eine Stunde in der Woche Zeit nehmen, dem stressigen Alltag zu entfliehen. Zunächst steht Autogenes Training auf dem Plan. Dann greift die Therapeutin nach einem ihrer Instrumente und spielt. Das kann ein Saiteninstrument mit seinem harmonischen Klang sein, die Ocean Trumm, deren Klänge an Meeresrauschen erinnern oder eine Schamanen-Trommel. »Wenn man schon in einem entspannten Zustand ist, sorgt das Hören der Klänge für eine Vertiefung der Entspannung, für eine Intensivierung, die unter anderem durch die Vibrationen sich stark im Körper widerspiegelt. Das geht schon in Richtung Trance«, sagt Reich.

    In einem Zustand, in dem wir nicht wach sind, wir aber nicht schlafen, sondern uns irgendwo dazwischen befinden, sind wir besonders empfänglich für Reize, für Klänge. Gefühlt wird die Zeit außer Kraft gesetzt. Ob sie nun 5, 15 oder 60 Minuten gespielt hat, die Männer und Frauen können es schwer schätzen. Wie stark sich ein Klient darauf einlasse, entscheide jeder selbst. Am Ende sprechen alle über ihr Erleben. Diese Stress-Präventionskurse übernimmt die Krankenkasse, auch bei Kindern und Jugendlichen. Nach dem Ende einer Therapie seien die Teilnehmer in der Lage, sich auch zu Hause gut zu entspannen. Auch, wenn dann keine Instrumente mehr gespielt werden. Dafür gebe es ja Alternativen wie Entspannungs-CD’s oder Internet-Videos. Allerdings gibt es da Einschränkungen: »Die meisten Menschen setzen Musik intuitiv richtig ein, egal ob sie wach werden wollen oder zum Runterfahren. Eine Musik mit persönlichem Bezug ist dabei immer wirksamer als eine 0815-CD, die keine Emotionen beinhaltet«, sagt Reich. Dennoch, verteufeln will sie die kommerziellen CDs nicht. »Jeder verwende das, was ihm hilft«, ist ihre Devise.

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