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    Kirche macht Musik, Musik macht Kirche

    Von Christa Kirschbaum, Landeskirchenmusikdirektorin Zentrum Verkündigung der EKHN

    © GettyImages / Slavica

    Johannes (6) ist ein wenig aufgeregt. Nach den Herbstferien hat er im Kinderchor angefangen, und schon vier Wochen später durfte er in der Christvesper mitsingen. Seit Januar hat die Chorleiterin ein Bibel-Musical mit ihnen einstudiert: die Geschichte von König David. Besonders gut gefällt Johannes  die Szene, in der der kleine David vom Propheten Samuel ausgewählt wird. Gestern war die  Generalprobe in der Kirche,  heute Nachmittag ist die Aufführung. Johannes hat sich allerdings einmal richtig vertan und einen falschen Text gesungen. Ob es heute wohl klappt?

    Marion (47) ist Krankenschwester im Schichtdienst. Trotzdem versucht sie, den Mittwochabend für den Kirchenchor frei zu halten. Singen ist für sie ein Ventil, um die aufgestauten Erlebnisse des Klinikalltags loszulassen. Oft kommt sie ziemlich geschafft zur Probe, aber nach zwei Stunden Singen fühlt sie sich wie ausgewechselt. Zur Zeit probt der Chor für ein Konzert zum Ewigkeitssonntag. Die Texte der Chorstücke kreisen um Abschied, Tod und die christliche Auferstehungshoffnung. Marion findet ihre beruflichen Erfahrungen darin wieder, die Musik tröstet und stärkt sie.

    Martin (38) ist Ingenieur. In seiner Jugend war er Leistungssportler. Während des Studiums hat er die Musiklehrerin Anita geheiratet.  Vor vier Jahren sind sie aus beruflichen Gründen umgezogen. Um neue musikalische Kontakte aufzubauen, ist Anita sofort in die Gemeindekantorei gegangen, die beiden Kinder singen im Jugendchor. Martin hat das Singen immer fasziniert, aber er hat sich nie getraut, seine eigene Stimme auszuprobieren.  Zum Geburtstag hat Anita ihm eine Gesangsstunde geschenkt. Da hat Martin sich ein Herz gefasst. Und siehe da – er hat eine gut sitzende Tenorstimme! Die Atemtechnik ist für ihn als Sportler kein Problem – jetzt geht er donnerstags mit Anita zur Kantoreiprobe und lernt die großen Chorwerke der christlichen Tradition kennen.

    Beate (64) packt ihre Posaune in den Koffer. Gleich wird sie zum Krankenhaus fahren. Heinz aus der zweiten Trompete liegt nach einer schweren Operation auf der „Inneren“. Es geht ihm aber den Umständen entsprechend gut, und deshalb will sein Posaunenchor ihm ein Ständchen blasen. Beate weiß aus eigener Erfahrung, wie gut das tut. Sie liebt besonders die Choralsätze von Johann Sebastian Bach, die zum ständigen Repertoire gehören. Ihr Chorleiter hat ihnen diese Kompositionen nahe gebracht und die Verbindung von Text und Musik erklärt. Und sie ahnt, dass sich Heinz gleich seinen Lieblingschoral wünschen wird: „Gloria sei dir gesungen“.

    Fritz (16) ist Schlagzeuger in der Jugendband. Singen war noch nie sein Ding, er steht auf starke Rhythmen.  In seiner Konfigruppe waren mehrere musikalische Jungen und Mädchen, und seit der letzten Freizeit vor zwei Jahren spielt er mit drei Leuten in der Band zusammen. Seit vier Wochen haben sie eine neue Lead-Sängerin, Sarah. Sie hat eine tolle Stimme – das gefällt ihm an ihr besonders gut. Vielleicht ist Singen doch nicht so uncool?

    Katharina (82) liebt Musik über alles. Als junges Mädchen hat sie Klavier und Flöte gespielt. Als sie später ihre Kinder bekam, hat sie ihnen Volks- und Kirchenlieder vorgesungen. Das ist nun schon lange her, aber der Musik ist sie treu geblieben. In ihrer Gemeinde schätzt sie besonders  die  Musikgottesdienste. Sie freut sich auf den Seniorenkreis am Montag im Gemeindehaus. Der Kantor wird kommen und unbekannte Lieder aus dem Gesangbuch vorstellen. Er verknüpft das Singen immer mit Bewegungs- und Stimmbildungsübungen, nach denen sie sich gleich frischer und wacher fühlt.

    Holger (25) braucht dringend ein Paar neue Schuhe, zum Orgelspielen. Als Teenager hat er damit angefangen, nachdem er schon einige Jahre Klavier gespielt hatte. Die Kirchenmusikerin  hat ihm die Orgel erklärt, und er durfte seine Lieblingsstücke ausprobieren. Da hat es ihn gepackt. So ein tolles Instrument – eine ganze Palette von Klängen, laut und leise, kräftig und zart, hoch und tief!  Zur Konfirmation hat er Orgelschuhe bekommen, mit glatten Ledersohlen, damit man gut mit den Füßen über die Pedale gleiten kann. Und dann hat er losgelegt. Nach anderthalb Jahren konnte er die D-Prüfung ablegen, nach zwei weiteren Jahren war die C-Prüfung dran. Im Dekanat  war er ständiger Vertreter auf allen Orgelbänken. Zum Studium ist er dann in eine andere Stadt gezogen und hat dort eine nebenberufliche Kirchenmusik-Stelle angetreten. Jetzt sind die Sohlen seiner Orgelschuhe endgültig durchgewetzt, und heute geht er ins Schuhgeschäft, denn in drei Wochen wird er beim Gemeindefest ein Orgelkonzert geben.

    Singen und Sagen – für Luther kommt die Musik gleich nach der Theologie

    „Davon ich sing’n und sagen will“ dichtete Martin Luther in seinem bekannten Weihnachtslied „Vom Himmel hoch, da komm ich her“. Singen und Sagen – für Luther kommt die Musik gleich nach der Theologie. Sie steht an vorderster Stelle seines Konzeptes zum Gemeindeaufbau. Er beteiligt die Gemeinde am gottesdienstlichen Geschehen, indem sie mit ihren Liedern und Gesängen Lob und Klage vor Gott bringt, auf die biblischen Texte antwortet und selbst singend die gute Nachricht verkündigt.

    Die ersten kirchlichen Singgruppen waren die evangelischen Schulchöre. Mit Kindern zu beginnen, ist bis heute ein tragfähiges Konzept für den musikalischen Gemeindeaufbau geblieben. In der Kindertagesstätte, im Kinderchor, im Kindergottesdienst und im Religionsunterricht in der Grundschule lernen Kinder den christlichen Glauben in seiner musikalischen Spielart kennen.

    Die singende Kindergruppe ist oft der erste Kontakt zur christlichen Kirche – hier haben Gemeinden eine besondere Verantwortung für die sorgfältige stimmbildnerische und inhaltliche Gestaltung der Singarbeit mit Kindern.

    Kirchenmusik ist der größte Ehrenamts-Bereich in der Kirche

    Ein evangelisches Markenzeichen sind die Posaunenchöre – hier hat sich eine intensive Nachwuchsarbeit entwickelt, mit Jungbläsergruppen in der Gemeinde, überregionalen Freizeiten und Bläsertagen. Flötengruppe und Instrumentalkreise arbeiten ähnlich – zur Regelmäßigkeit der wöchentlichen Proben, die eine hohe Verbindlichkeit und starke Identifikation schaffen, treten die Highlights:  Gottesdienstmusiken und Konzerte, aber auch gemeinsame Unternehmungen wie Ausflüge oder längere Fahrten.

    Eine musikalische Arbeit mit Kindern bringt oft die gesamte Familie zum Engagement: für die Musical-Aufführung des Kinderchores bastelt der Opa das Bühnenbild, die Mutter verkauft die Eintrittskarten, der große Bruder hängt die Plakate aus.

    Eine solche musikalische Prägung hält oft ein Leben lang. Wer vor der Pubertät gute Erfahrung mit Kirchenmusik gemacht hat, bleibt oft dabei oder findet als älterer Jugendlicher oder als Erwachsene wieder dazu. Kirchenmusik ist der größte Ehrenamts-Bereich in der Kirche: in 2009 engagierten sich 549.633 Menschen, davon 98.556 Kinder und Jugendliche, regelmäßig in musikalischen Gruppe. Damit gehören die Kirchen zu den wichtigsten Kulturträgern Deutschlands.

    Kirchenmusik bietet unterschiedliche Stufen des Engagements

    Kirchenmusik spricht aber auch Menschen an, die nicht zum „Kern“ der Gemeinde gehören, die sich nicht regelmäßig binden wollen oder können oder  ihre Schwierigkeiten mit der Institution Kirche haben.

    Kirchenmusik bietet unterschiedliche Stufen des Engagements: Ich besuche ein Konzert und lasse mich von Tönen und Texten berühren, ich nehme an einem Gemeindesingen oder einer musikalischen Kirchenraumerkundung teil und lasse meine Stimme in der Kirche erklingen. Ich beteilige mich an einem “Chor auf Zeit“ oder spiele in einem Bandprojekt mit. Ich lasse mich spielend auf die christlichen Inhalte und Ausdrucksformen ein und probiere aus, ob sie zu meinen eigenen werden können.

    Ich erlebe eine Gemeinschaft von Gleichgesinnten, knüpfe Freundschaften, tausche mich über Gott und die Welt aus.

    Im gemeinsamen Singen bin ich sowohl  für meine Stimme als auch für den Gesamtklang zuständig, ich trage Verantwortung, ohne Solist sein zu müssen. Mein Atem fließt regelmäßig, der Kreislauf kommt in Schwung und ich tue etwas Gutes für meine Körperhaltung. Aufregung legt sich, Trägheit wird überwunden. Im Gehirn bilden sich Synapsen, das Denken wird angeregt. Ich öffne mich für neue Eindrücke. So trägt Musizieren zur physischen und psychischen Gesundheit bei.

    Im Singen bewege ich Texte und Melodien in Mund, Herz und Hirn; sie prägen sich ein und werden zum Glaubensschatz. 3000 Jahre jüdisch-christlicher Geschichte sind in unseren  Kirchenliedern und kirchenmusikalischen Kompositionen aufgehoben. Singen ist evangelische Bildungsarbeit.

    Singen kann jeder und jede

    Ich habe mein Instrument immer dabei, der Einsatz kostet nichts. In den Chören sitzt der Sachbearbeiter neben der Oberärztin, die Schülerin neben dem Ingenieur. Kirchenmusik ist generationenübergreifend. in der Band spielen Vater und Tochter, im Posaunenchor Oma neben dem Enkel. Die Erfahrungen der Älteren treffen auf die Frische der Jungen. So ist Kirchenmusik ein gutes Lernfeld für den toleranten Umgang miteinander.

    Die Musik erfreut, tröstet und stärkt nicht nur mich, sondern auch die Zuhörenden. Kirchenmusik ist Diakonie.

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